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Das Licht der Welt,

das ich erblickte, kam von einer Zugleuchte mit Glühfadenlampe, war also elektrisches Licht, denn ich gab mein Debüt auf der Bühne des Welttheaters just um Mitternacht. Ob die Uhr in der Wohnküche auf die Minute pünktlich war, ist natürlich fraglich. Man schlug mich auf den Rücken und ich dachte schon, ich wäre im Kriegsgeschehen gelandet. Denn Deutschland hatte am frühen Morgen des 1. September 1939 mit Bomben auf Wielun, 244 km östlich von Gablonz, den zweiten Weltkrieg gleich mit einem Kriegsverbrechen eröffnet, denn der Angriff galt keinem militärischen Ziel. Schon im Oktober 1938 hatte Deutschland das Sudetenland annektiert, nachdem Österreich schon am 12. März 1938 an der Reihe gewesen war.

Zum Zeitpunkt meines Erscheinens war das Naziregime praktisch mit ganz Europa im Krieg, und bis zu dessen dickem Ende, sollten noch fast fünf weitere Jahre vergehen.

Als ich zu schreien begann, ließ man von mir ab, wusch mich und verpasste mir meine erste Bekleidung und bettete mich anständig. Sodann ging es ans Ausfüllen meines ersten Formulars. "Ja, auf jeden Fall schreiben wir 14. August," hörte ich Frau Lettfuss, die Hebamme, sagen. "Gablonz an der Neiße, Lerchenfeldstraße 62, ..." Dann sah sie mir noch einmal tief in die Augen und sagte, "Was du wohl einmal werden wirst." Ich sagte, dass ich doch gerade erst geworden wäre und nun bin. Und mir steht ein Leben bevor, dass sich keinem Genre wird zuschreiben lassen. Ich werde immer wieder Traumata erleben und dramatische Brüche in meiner Biographie hinnehmen müssen oder herbeiführen.
"Welchen Beruf du wohl einmal ergreifen wirst?" "Beruf! Das klingt ja wie auf der Stelle treten! Ich werde diverse Dinge tun müssen und immer weiter lernen und meine geistigen Kräfte entfalten, damit ich die Natur verstehen und die Menschen durchschauen kann und mir in allen Lebenslagen zu helfen weiß." Ich werde Denker, Mechaniker, Technischer Zeichner, Waffenmeister, EDV-Verkauf (erste Computeranlage im Gemeindeamt Kremsmünster 1976), Ingenieuer, Mathematiker, Industriekaufmann, IT-Beauftragter, Führungskraft, Programmierer, Konstrukteur, Lehrer, etc. werden müssen. Ich denke nicht, dass sie mich verstand. Jedenfalls war es ein gutes Gefühl, endlich selbst zu atmen und schließlich ließ ich mich von Morpheus Armen umfangen.

Mein Vater war aus Reisach in Kärnten und meine Mutter aus Liebau in Mähren. (Siehe Karte). Sie waren also beide in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie aufgewachsen. Als diese 1918 zerfiel, war mein Vater 20 Jahre alt und hatte schon im Ersten Weltkrieg gedient. Meine Mutter war vierzehn. Beide haben später in Gränzendorf bei Gablonz Arbeit gefunden, wo sie sich kennenlernten. Am 13. März 1938 erfolgte der Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich. Am 12. 9. 1938 haben meine Eltern in spe geheiratet (Siehe Fotos) und kauften sich das Haus Lerchenfeldstraße 62 in Gablonz an der Neiße. Im Jahr darauf kam Christl zur Welt, die aber nach wenigen Wochen verstarb.

Hitler hatte zuerst die Abspaltung der Slowakei forciert und ließ dann am 15. März 1939 das verbliebene Staatsgebiet der Tschecho-Slowakischen Republik (Č-SR) von der Wehrmacht besetzen. Am Tag darauf proklamierte er das „Protektorat Böhmen und Mähren“, und gliederte damit das tschechische Gebiet völkerrechtswidrig dem Deutschen Reich ein. Anstatt als Österreicher wurde ich also ins Deutsche Reich geboren.

Nach Kriegsende, als der nationalsozialistische Spuk vorbei war, mussten die Sudetendeutschen in der Öffentlichkeit weisse Armbinden tragen. Tschechen, Österreicher und Angehörige anderer Nationen mussten auf der Brust Abzeichen (ca. 1,5 x 4,5 cm) mit ihren Farben tragen. Meine Eltern waren, samt mir, durch das "Staatsbürgerschaftsüberleitungsgesetz" wieder zu österreichischen Staatsbürgern geworden. Wir wurden deshalb nach dem "Umsturz" von den Tschechen nicht "ausgesiedelt", wie die Sudetendeutschen. Mein Vater galt nach dem Krieg als vermisst, so entschloss sich meine Mutter zur Ausreise nach Österreich.

* * *

Ein Leben in Kriegszeiten

Einige meiner allerersten Erinnerungen gehen tatsächlich aussergewöhnlich weit zurück. Viele meiner späteren Erinnerungen sind ganz genau und aufs Wort genau. Der Krieg und die ganzen Umstände mit der tschechischen Bevölkerung, besonders aber der frühe Kindstod meiner älteren Schwester, hatten bei meiner Mutter eine tiefe Trostlosigkeit ausgelöst, die sie, während sie mit mir schwanger war, auf mich übertrug. Meine frühesten Erinnerungen sind deshalb, dass ich nach dem Aufwachen erst einmal traurig war. Ich setzte mich auf meinen Fußschemel in der Wohküche neben der Schlafzimmertür und weinte.

Einmal machte ich mich allein auf Erkundungstour und war schon ein paar Stufen die Kellertreppe hinabgelangt, als ich plötzlich zwei Weberknechte an der Wand gewahrte, worüber ich sehr erschrak.

Am Gartenzaum hatte mir mein Vater, neben einem Strauch, ein kleines Bänklein gemacht. Als der Strauch Blüten trug und Bienen kamen, fing ich eine mit beiden Händen, worauf die Biene sich wehrte und mich in den rechten Mittelfinger stach, der schmerzte und alsdann dick anschwoll. Meine Mutter versprach mir, dass essigsaure Tonerde helfen wird, und sie half.

Herr Juppe, der mit seinem Pferdegespann die Kohlen zum Heizen und Kochen brachte, hatte mir eine kleine Peitsche geschenkt. Als der Installateur, Herr Simon, etwas an der Wasserleitung reparierte, hatte er eine Gas-Lötlampe angezündet am Boden stehen. Das reizte mich, die Peitsche mit der Schnur über die Flamme zu halten, worauf mich der Herr unwirsch anfuhr.

Aber selbst in der eigenen Familie gab es Disharmonien. Als die Wasserleitung nicht funktionierte, standen in der Küche, gleich hinter der Eingangstür, zwei Eimer mit Wasser als Vorrat. Als wir meinen Vater nachhause kommen hörten, ging ihm meine Mutter entgegen und ich versteckte mich bei den Wassereimern, damit mich mein Vater beim Eintreten nicht gleich entdecken sollte. Die Wartezeit überbrückte ich, indem ich in das Wasser langte und auf der Wand herumwischte. Die Wände waren gestrichen und darauf, in einer anderen Farbe, ein Muster aufgewalzt. Beim Eintreten der beiden, wurde mein Wisch-Werk sogleich entdeckt, und meine Mutter ging auf mich los, dass es zum Fürchten war. Ich denke, damals hätte sie mich zum ersten Mal geschlagen, wenn sich mein Vater nicht schützend vor mich gestellt hätte.

Selten fuhr ein Auto oder ein Fuhrwerk durch die Lerchenfeldstraße. So wurde ich, kaum dass ich gehen gelernt hatte und die nähere Umgebung kannte, losgeschickt um kleinere Besorgungen zu machen.

Fast täglich ging ich zum Faltus Bäcker um Semmeln oder Brot. Einmal war das Einkaufsnetz kaputt und zuhause angekommen, waren fast alle Semmeln weg. Ein anderes Mal waren die Semmeln alle weg, weil ich sie auf dem Heimweg für winzige Bilderbüchlein eingetauscht hatte. Ältere Kinder hatten mir den Tausch schmackhaft gemacht.

Einmal in der Woche brühte der Fleischer beim Bahnhof Würste und da ging ich meist Wurstsuppe holen. In einer 2-Liter Milchkanne, wie sie damals üblich waren. Einmal im Winter kam ich aus dem Fleischerladen und stolperte oder rutschte aus, jedenfalls landete ich auf einem Schneehaufen und die Wurstsuppe landete im Schnee. Die Metzgersfrau tröstete mich und machte mir die Kanne wieder voll. Gleich nach dem Bahnhof fuhr der Zug unter der Straße durch, und direkt darunter war einmal ein entgleister Zug.

Als mein Vater einmal auf Heimaturlaub kam, setzte er, von mir zunächst unbemerkt, seine Gasmaske auf. Man kann sich denke, wie ich erschrack, als er sich unüberlegterweise mir plötzlich zuwandte. In der Nacht wurde ich von einem Albtraum geplagt. Ich sah die ganze Zeit, wie ein bärartiges Tier auf mich zukroch. Die Erscheinung dauerte noch eine Weile an, als meine Vater, mit mir am Arm, in der Küche stand, das Licht an war, und mir beide Elternteile zuredeten.

Ausser gelegentlichen Kontakten mit anderen Kindern, wenn ich einkaufen ging, hatte ich immer nur mit Erwachsenen zu tun. Als der Krieg forgeschritten und mein Vater auch an der Front war, war ich nur von furchtsamen Frauen und älteren Männern umgeben.

In dieser Zeit war an einem Wochenende kein Brot im Haus. Meine Mutter schickte mich zu einem Bekannten, Herrn Vinzenz. Er war Tscheche, und wurde später als Verwalter unseres Hauses bestellt, als wir nach Österreich gingen. Es gab ja damals in einem Haushalt kein Telefon und so musste ich auf gut Glück los und den Herrn Vinzenz aufsuchen und fragen, ob er mit etwas Brot bis Montag aushelfen könnte. Er hatte ausreichend und schnitt von seinem Brotleib zwei Keile ab. Warum ich mir die Sache gemerkt habe ist, weil er jeden Keil mit einer Prise Salz versah, worüber sich meine Mutter wunderte, als ich nachhause kam.

Im Rathaus jagte ich meiner Mutter einmal einen Schreck ein, als ich im Gang sagte, "Da hängt wieder das Schwein!", womit ich auf das Bild des Führers Adolf Hitler aufmerksam machen wollte, das in öffentlichen Gebäuden, und nicht nur da, an den Wänden hing.

Die Wohnung im Erdgeschoss hatten wir an Familie Schneider vermietet. Eine kleinere Wohnung, in der früher eine Lebensmittelhandlung war, bewohnte die alte Frau Kittel, die mir einmal einen kleinen Gehstock, und ein anderes mal eine kleine Giesskanne schenkte. Wir wohnten im ersten Stock. Dort war über dem ehemaligen Lebensmittelgeschäft ebenfalls eine kleine Wohnung. Da wohnt die Seckl Frieda, eine ledige junge Frau.

An einem der Abende während der vier Angriffswellen der Royal Air Force (RAF) und den United States Army Air Forces (USAAF) vom 13. bis 15. Februar 1945 auf Dresden, war eine kleine Ansammlung von Mitbewohnern und Nachbarn bei uns am Vorhausfenster zwischen Erdgeschoss und Beletage. Überm "Eigenen Herd", einem Wohnblock, war in der Ferne der Abendhimmel hell erleuchtet. Dumpfe Einschläge und Explosionen waren zu hören. Man wußte, Dresden wird bombadiert und der grelle Schein kam von dort. Später erfuhr ich, dass das Licht von den Brandbomben kam, welche die Stadt für die Angreifer taghell erscheinen ließ.

Während dieser beklemmenden Stunden passierte es, dass mir das kleinfingerlange Schifflein, mit dem ich mich die ganze Zeit gespielt hatte, plötzlich im Halse steckte und ich zu ersticken drohte. Ein praktisch veranlagter Nachbar drehte mich um, hielt mich an den Fesseln, so dass ich mit dem Kopf nach unten hing und ein anderer klopfte mir auf den Rücken, bis das Schiff wieder raus kam, und ich wieder atmen konnte. Auf diese Weise fand wenigstens diese Angelegenheit ein glückliches Ende.

* * *

Der Krieg ist aus

Mit der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht endete am 8. Mai 1945 das „Tausendjährige Reich“ der Nationalsozialisten. Die beiden Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki führten am 2. September 1945 zur Kapitulation Japans und damit zum endgültigen Aus für den 2. Weltkrieg.

Es dauerte nicht lange, da war wieder eine kleine Ansammlung von Mitbewohnern und Nachbarn bei uns am Vorhausfenster zwischen Erdgeschoss und erstem Stock. Wieder herrschte eine beklemmende Stimmung. An einem der Eingänge zum "Eigenen Herd" fand eine "Aussiedlung" statt. Alle sudetendeutschen Bewohner hatten eine kleine Frist, das Nötigste zusammenzupacken. Danach wurden sie abgeführt. Diese Vertreibungsmärsche führten, wenn es gut ging, zum Bahnhof zu einem Abtransport nach Deutschland.

Es gab damals viele "Vermisste" und viele "Gefallene". Mein Vater war aus dem Krieg nicht zurück gekommen und es gab keine Nachricht von ihm. Für österreichische Staatsbürger, die unter den neuen Umständen nach Österreich wollten, und viele wollten, wurden Transporte organisiert. Meine Mutter, obwohl sie etwas Tschechisch sprechen konnte - ihre Mutter war aus Böhmisch Liebau - wollte auch nicht mehr bleiben. Für das Haus musste ein Verwalter bestimmt werden - Herr Vinzenz. Mitnehmen konnte man, was transportabel war. Für das Haus gab es später von Tschechischen Staat eine kleine, eher symbolische Entschädigung. Ich habe heute noch drei Sparbücher der Gablonzer Sparkasse. Eines lautet auf meinen Namen.

Da das Waggonmaterial nach dem Krieg knapp war, gab es nur sporadisch freie Waggons. Und das waren keine Personenwaggons. Es ging auch nicht zügig nach Österreich sondern wir mussten mehrmals warten, bis es wieder weiter ging. Mindestens zwei Nächte verbrachten wir unter freiem Himmel. Einen Aufenthalt hatten wir neben einer bombardierten Nadelfabrik. Da gab es bergeweise geborstene Kartons mit Sicherheitsnadeln. Eine anderes mal lagen wir neben einer bombardierten Süsswarenfabrik fest. Da gab es Berge von teils geschmolzenen Bonbons. Da hatte man wenigsten etwas für den Magen. Meine Mutter fing von der Dampflokomotive abfließendes Wasser auf und löste Bonbons darin auf.

Schließlich kamen wir in Wien an und erhielten ein Dach über den Kopf. In der Volksschule Kolonitzgasse waren wir mit anderen Leuten, die mit dem Transport angekommen waren, in einem Klassenzimmer untergebracht. Unser Nachtlager war neben einem Turm aufgestapelter Schulbänke. Hier waren wir ein paar Tage. Es gab auch eine Verköstigung. Jeden Tag gab es in einem Kessel gestampfte, ungeschälte Kartoffeln mit etwas Fischgeschmack, und Erbsen. Auf der Straße schenkte mir ein englischer Soldat ein Stück Schokolade. Eine Mitreisende, eine ältere Frau, hängte sich im Klo auf. Ihr Mann weinte.

Über Arnoldstein ging es nach Reisach im Gailtal, die Gemeinde, in der mein Vater das Heimatrecht hatte. Der Bürgermeister brachte uns zunächst in der Kegelbahn im jetzigen Forellenhof in Gundersheim unter. Nach ein paar Tagen konnten wir dann ein ungenutztes Klassenzimmer in der Volksschule Reisach beziehen.

Vom Fenster aus sah man hinunter in den Schulhof. Gleich beim Eingang dazu war ein Ziehbrunne und daneben ein Maulbeerbaum. Einen Maulbeerbaum habe ich seither nie mehr gesehen. Blickte man nach links sah man dan Wald und die Berge, dann sah man den Pfarrhof, geradeaus etwas tiefer gelegen war der Sorschag, die hatten ein widerspenstiges Muli und rechts, wieder mehr zur Schule rauf war der Bäcker. Die hatten Zeilensemmeln und in diesem Winter 1945 - 1946, den wir dort verbrachten, konnten man an einem Tag nur im ersten Stock durchs Fenster einkaufen, da es ein paar Tage lang geschneit hatte. Es schneite in diesem Winter insgesamt drei Mal ausgiebig, dann war immer sonniges Winterwetter. Ein hölzerner Schneepflug, von Pferden gezogen, räumte die Straße nach Kirchbach und Gundersheim, damit Fuhrwerke mit Pferdeschlitten, oder auch handgezogene Schlitten besser voran kamen.

Rechts war der Bauer Seli, da waren im Winter die Schafe im Stall und es war ganze Sträucher und kleine Bäumchen als Futter-Vorrat aufgestellt, wovon die Schafe fressen konnten. Das Rote Kreuz hatte zur Familienzusammenführung nach dem Krieg Listen auf den Gemeindeämtern ausgelegt. So erfuhren wir, dass mein Vater in Linz ist und beim Wiederaufbeu der "Spatenbrotwerke" beschäftigt ist. Als er zu uns kam, holten wir mit einem Fuhrewerk vom Seli, den mein Vater kannte, Feuerholz für den Winter von der Gail. Der Onkel Jakob war bei der Gailverbauung beschäftigt. Da durfte ich zum ersten Mal ein Pferdefuhrwerk lenken. Den Weg von der Gail her den kannte ich gut, da ich jeden Tag eine Kanne Milch vom Angerer bei der Bahnstation holte. Die unentrahmte Milch schmeckte herrlich mit Polenta oder mit den erwähnten Zeilen-Semmeln.

* * *

Ober-Österreich

Da mein Vater gerne als Glasdrucker arbeitete, schloss er sich den heimatvertriebenen Gablonzern an. So kamen wir im Jahr 1946 nach Losensteinleiten in Ober-Österreich. Zunächst wohnten wir in einer Baracke, wie sie vom Krieg noch überall vorhanden waren. Im Herbst begann meine Schulzeit. Der Schulweg führte in den ersten Wochen vorüber am Mausoleum der Auersperg runter zum Bach, beim Kraftwerk über den Steg und schnurstraks über Wiesen und Felder rauf zur Schule in Maria Laah. Dann übersiedelten wir nach Ketterberg zum Bauer Blattner, vulgo "Herzog", mit der Adresse Wickendorf 2. Mein Schulweg war dadurch um zwanzig Minuten länger geworden und doppelt so interessant und lehrreich. Das unmittelbare Erleben des Jahreskreislaufs der Natur, auf den Wiesen und Feldern, als auch im Wald und dem Bach entlang, war wunderbar.

"Müde bin ich, geh' zur Ruh', schließe meine Äuglein zu, Vater lass' die Augen dein, über meinem Bette sein", sollte ich beten. Als ich mich wunderte und fragte, ob der "Vater" seine Augen über den Betten aller Kinder auf der Welt haben konnte, wurde das bejaht. Da wusste ich, dass das nix anderes sein konnte als das Gerede von Nikolaus, Krampus, Christkindl, Osterhase. Als in der vierten Klasse der Lehrer an der Tafel eine Rechenaufgabe erklärt und aufgeschrieben hatte, ging er ans Ende des Klassenzimmers und lehnte sich an die Wand hinter mir, denn ich saß in der letzten Bank. Ich hatte gleich gemerkt, wie der Lehrer einen Fehler in seiner Rechnung machte. Als wir sie abschreiben sollten, schrieb ich den Fehler nicht ab sondern schrieb was ich für richtig hielt. Da fragte mich der Lehrer, warum ich nicht das ins Heft schreibe, was an der Tafel steht. Als ich erwiderte, dass seine Rechnung fehlerhaft war, tat er überrascht und ging zur Tafel und korrigierte seine Rechnung. Ich vermutete, dass er mich nur auf die Probe stellen wollte. Er wusste wohl, dass ich mich unterfordert fühlte und oft gelangweilt war, aber niemand erklärte mir, dass es höhere Schulen gab. Kein Mensch im ganzen Bekanntenkreis hatte eine höhere Schule besucht. Selbst die Lehrerausbildung endete mit Matura. Immerhin war ich einer der Wenigen, denen man nahelegte, die Hauptschule in Steyr zu besuchen.

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Im Berner Oberland

Mitte Dezember 1960 (offiziell war ich bis Jahresende noch beim Bundesheer, die letzten Wochen waren aber Urlaub) fuhr ich mit dem Zug nach Thun im Berner Oberland um für ein paar Tage bei Familie Luginbühl zu bleiben und um mich umzusehen. Ich fand auch gleich Arbeit als Mechaniker bei der Fritz Studer AG in Steffisburg, ein Hersteller von Präzisionsschleifmaschinen. Herr Trümpi, der Werksleiter, rief Herrn Grossenbacher an, meinen Meister in spe und dieser zeigte mir bei einem kleinen Werksrundgang vor allem die neuen, hellen sauberen Montageräume. Das Personal trug auffallend saubere Arbeitsmäntel. Nur wenige, z. B. der Rufener Housi und vor allem die Schaber, trugen Overalls. Die Schaber bearbeiten die Schlittenführungen derart, dass die vorgeschliffene Planheit der Gleitfläche erhalten bleibt, aber eine leichte Unebenheit entsteht, sodass kein zu starker Haftungseffekt (Adhäsion) auftritt, der zu Ruckeln führen würde. Sie verwendeten Bläuel, eine blaue Paste, zur Kenntlichmachung der Unebenheiten.

Ein schönes Zimmer fand ich am Hübeli am Blumenweg in Thun, circa 15 Gehminuten vom Arbeitsplatz. Zwischen letzterem und der Wohnung waren auch eine Kuhweide sowie das Restaurant Glockenthal. In dem Chalet wohnte im Obergeschoss der verwitwete Herr Stucki mit Sohn und im Erdgeschoss seine Schwester, die verwitwete Frau Martha Elmer. Sie vermietete mir ihr Wohnzimmer. Da ich nur mit kleinem Gepäck in die Schweiz gereist war, fuhr ich zurück nach Kremsmünster um nach den Feiertagen, Anfang 1961, ganz nach Thun zu übersiedeln. Alsbald trat ich meine Stelle beim Studer an.

Morgens hatte ich immer Radio Beromünster eingeschaltet. Sie sendeten zweisprachig. Die Stimme eines älteren Sprechers ist mir noch im Ohr: „Il est, exactement, six heures, vingt-neuf minutes, trente secondes.“ So lernte ich meine ersten Worte Französisch.

Das war mir aber nicht von Nutzen, als ich Anfang Februar am Ufer des Thunersees Jacqueline Oberlin kennenlernte. Sie war aus Lausanne und erst seit ein paar Tagen in Thun und sie konnte kaum ein Wort Deutsch. So unterhielten wir uns mit Händen und Füßen. Auch Papier und Kuli kamen zum Einsatz. So zeichnete sie z. B. die Kontur eines Löffels und schrieb "la cuillère" dazu. Ein anderer Ausdruck den sie aufschrieb war "mon état général", aber dafür war gab es keine Illustration.

Als sie nachhause musste, begleitete ich sie und unterwegs kaufte sie sich am Bahnhof eine französischsprachige Zeitung. In dieser zu ende gehenden Skisaison waren die Österreicher den Schweizern zumeist eine Nasenlänge voraus gewesen. Als Jacqueline den Sportteil aufschlug, entfuhr es ihr: „die chaiben Öschtricher!“ Also ein paar Worte hatte sie in Thun schon aufgeschnappt. Ich zeigte mir auf die Brust und sagte „ich Öschtricher!“ Das war natürlich ein Anlass für herzhaftes Gelächter.

Am nächsten Tag auf der Arbeit erzählte ich meinem Kollegen René von meiner Bekanntschaft. Er hatte es sich von Anfang an zur Aufgabe gemacht, mir das eine oder andere auf Französisch beizubringen (Quelle heure est-il ?, la aiguille des secondes, Qu'est-ce que c'est ?). Da kam auch noch Luc dazu, ein Westschweizer, und nach kurzem Hin und Her über "mon état général" fragten sie mich, wohin ich Jacqueline begleitet hätte und es stellte sich heraus, dass es ein Heim für junge, ledige werdende Mütter war (Hohmad). Viele Jahre später, kurz bevor ich die Schweiz verließ, suchte ich nach dem Namen Oberlin im Lausanner Telefonbuch. Da waren zwei oder drei. Ich erwischte einen Cousin von Jacqueline und der gab mir ihre Nummer. Sie konnte mittlerweile gut Deutsch und wir schwelgten in Erinnerung des denkwürdigen Geschehens.

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Szenen

3. Februar 2022

Lieber F....

die Raum-Zeit Koordinaten unserer Schwerpunkte waren fast gleich – an galaktischen Dimensionen gemessen – als die Weltgeschichte um folgende Begebenheit expandierte:

Der Vorhang geht auf und alle Augenpaare sind nach rechts vorn zur Tür gerichtet, wo ein fremder, kleiner, nicht gerader schlanker Mann im grauen Mantel und mit grauem Hut auf dem Kopf, auf der Nase eine Brille und unterm Arm eine Aktentasche, den Raum betritt und wortlos, ein bisschen wie schleppend, der Fensterreihe zustrebt, wo ein Pult steht, auf welches er seine Tasche und sodann seinen Hut legt, sich dann seines Mantels entledigt, sich zur Wandtafel dreht, ein Stück Kreide ergreift und - noch immer ohne ein Wort gesprochen zu haben - §1 an die Tafel schreibt.

Dieser Mann war nicht ohne Humor, vielleicht hat er bei dieser Szene sogar innerlich geschmunzelt und sie schon zum wiederholten mal gespielt. In den zwei Jahren, in denen er uns sein optimiertes Programm gekonnt darbot, hat er zweimal, im Sitzen, einen Drudenfuß unten an die Tafel gezeichnet und gefragt, was das darstellt. Ich glaube er hat insgeheim darauf gewartet, dass jemand sagt, das sei ein Judenstern.

Einmal kam es zu der Situation, dass einer von uns sagte,

aber durch null kann man nicht dividieren!
Warum?
Wir haben gelernt, dass das nicht definiert sei. (Beusch)
Warum macht man daraus so ein Geheimnis?
Wieso, was soll es denn ergeben?

Na unendlich, sagte er, dabei hob er die Oberlippe leicht an, wodurch sich die Haut an seiner Nasenwurzel in Runzeln legte. Gleichzeitig re-positionierte er mit der Hand seine Brille.

Einmal betrat ein großgewachsener schlanker Mann mit graumelierten Haaren den Saal und sagte: „Mein Name ist Jud. Ich bin der Vorstand der Abteilung Maschinenbau und bringe die Semester-Zeugnisse.“ Kaum war er draußen, machte der kleine Mann wieder die Mine mit der angehobenen Oberlippe und der Brille und fragte: „Wie heißt der Mann?“

Wir wissen ja, dass der kleine Mann jüdischer Herkunft war, und deshalb mit dem Thema spielte.

Habe hier einen Link zu meinem Artikel über die Zahlen, den ich zurzeit gerade total überarbeite, um bessere Verständlichkeit zu erreichen. Der könnte Herrn Beusch gefallen, der immer bestrebt war, uns etwas tiefer schürfen zu lassen als nur Konzepte anzuwenden. Vom grünen Buch verwendete er daher nur den dritten Band. (Der zweit Band war Geometrie). Anstatt des ersten Bandes verwendete er das Buch mit braunem Einband von Krakovski oder so ähnlich. Hast du das Buch noch? Ich habe alle Unterlagen in Zürich in der Ekkehardstraße gelassen. Später schickte ich in einem Brief 50 Franken an Frau Borel mit der Bitte, mir die Sachen nachzuschicken. Darauf schrieb sie zurück, warum ich ihr 50 Franken schicke, ich hätte doch alles bezahlt. Dazu schickte sie mir Fotos von ihrer Katze Mädi, die immer in der Küche geschissen hatte.

* * *

7. Oktober 1979
Ich sitze in der Küche auf der Eckbank. Der Durchgang zum "Arbeitszimmer" ist schon durchgebrochen. (Der Schraink Karl hatte entgegen meiner Anweisung keine Leibung gemauert sonder alles mit normalen Mörtel durchgemauert. Wenigstens die Überleger hat er richtig plaziert.) Der Blindstock ist mittlerweile gesetzt und eingeputzt. (Von mir im August, als die Maurer Betriebsurlaub hatten.) Auf beiden Seiten habe ich 0,1mm PVC Folie angezweckt. Dadurch sehe ich, dass die Sonne ins Wohnzimmer scheint. Es ist 9h13. Clemens scharrt mit einer Kohlenschaufel die Mörtelreste auf dem Rohbeton zusammen. Seit 14 Tagen ist alles verputzt, aber noch nicht geweisselt. Das Scharren und Schaufeln hallt in den leeren Räumen des Neuzubaus nebenan. Vorher habe ich ihn beobachtet, wie er mit dem Maurerhammer fest auf die Mörtelbrücke schlug, die zwischen den beiden Winkeleisen zum Zwecke des Darüberfahrens angebracht ist. Gestern habe ich ihm gesagt, dass er daraufschlagen kann, weil die Maurer sie nicht mehr brauchen. Eigentlich hat er mich um einen Ziegel gefragt.


Diese hat er so gerne zerschlagen, als vor dem Verputzen in der Fensterecke noch ein Schutthaufen mit großen Ziegelstücken war. Da keine Ziegelbrocken mehr da sind, habe ich ihm das erwähnte Angebot gemacht. Und wie er dreinhaut! Er hält den Hammer mit beiden Händen und wippt - in der Hocke - mit dem ganzen Körper mit.

Ein paar Tage später:
Heute um ca. 1/2 10 waren wir wählen. Jetzt ist es 12. Ich liege auf der Bettbank am Dachboden. Es ist ein herrlicher Herbsttag. Draussen kühl. In der Küche haben wir die elektrische Heizung eingeschaltet. (Konvektor an der Wand). Mutter hat schon um 1/2 12 gegessen. Faschiertes, zu ersten mal mit Kartoffeln drin. Sie sass, wie immer, wenn wir auf 1 heizen, bei offenem Fenster. Hier oben, auf dem Dachboden ist es angenehm warm, weil das Dach (noch) nicht wärmeisoliert ist, und die Sonne drauf scheint.

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21. Oktober 2017

Fettes Essen wirkt sich auf das Gehirn aus

Durch fettes Essen sinkt die Zuckerversorgung des Gehirns. Diese ist aber wichtig, denn Glukose - also Zucker - ist neben Sauerstoff einer der Haupttreibstoffe der Nervenzellen. Das Gehirn zieht die Glukose dann aus Muskeln, Leber und anderen Organen ab.


Da aber auch Muskeln und Organe Zucker brauchen, werden Zellen durch den "Entzug" zunehmend resistent gegen das körpereigene Insulin, das normalerweise Zucker in die Zellen transportiert.
Folge: erhöhtes Diabetesrisiko.

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8. Dezember 2017

Verlieren wir den Verstand?

Rückgang des IQs, Zunahme von Autismus. Umweltschadstoffe haben negative Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit.

Diese und übermäßige Nutzung des Handys haben Schuld am Rückgang der Intelligenz.

Der hiesige Menschenschlag tanzt gerne zum Kunstschneewalzer.

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Biedermeier (1815 - 1848)

Der dichtende Dorfschullehrer Samuel-Friedrich Sauter verfasste unfreiwillig komisch wirkende, biedere Gedichte. Andere Literaten schrieben ironische Gedichte im Stile von Sauter


und veröffentlichten sie unter dem Pseudonym Weiland Gottlieb Biedermeier. So prägte Sauter unfreiwillig den Namen der Epoche.

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Was noch so alles geschah, wird laufend nachgetragen ...